Dieser Text wurde im Dez.2001 geschrieben. |
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Winfried Tonner und sein
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Etwa ein Jahr nach der Abfassung meines Aufsatzes über "das bürgerliche Familienideal" bin ich auf ein Bild von Winfried Tonner gestoßen, das mich aus mehreren Gründen fasziniert hat. Schauen Sie es sich erst einmal ohne meine Hinweise an: Winfried Tonner (geb.1937) Großes Regensburger Familienbild , 1984/85 Dieses großformatige Bild (205x260cm) thematisiert zum einen die beiden historischen Pole meiner Betrachtung, nämlich das "traditionelle" Familienporträt - wie es exemplarisch Goyas Porträt der Familie des Fürsten Osuna darstellt - einerseits und die zunehmende Pluralisierung der Lebensformen - und damit auch eine andere Vorstellung von Kindheit heute - andererseits. Zum anderen entdecke ich in der Gesamtkomposition dieses Bildes meine eigene Argumentationsstruktur des (so will ich sie einmal nennen) "sowohl-als-auch". Schauen wir uns dazu das Bild erst einmal genauer an: Da wird auf der linken Seite vom Künstler selbst ein in der goya'schen Tradition komponiertes Familienporträt vorgestellt: Die Familie des Fürsten von Thurn und Taxis auf neutralem Hintergrund, wie bei Goya etwas steif und distanziert. Dies mag - bei aller, von bunten Blättern verbreiteten Skandalträchtigkeit des europäischen Adels - durchaus das in "diesen Kreisen" immer noch vorherrschende, offizielle Familienbild sein. Die (optische) Distanz zwischen dem Haupt(!) des Fürsten und den Köpfen der anderen Familienmitglieder ist weitaus größer als bei Goya. Das Regensburger Porträt zeigt der Künstler einem zunächst nicht sichtbaren Betrachter. Allerdings verrät der Spiegel im Hintergrund rechts, wer dieser Betrachter ist: Das Fürstenpaar selbst. Gleichsam als eine doppelte Spiegelung sehen wir das Fürstenpaar bei der Betrachtung des Bildes, das ihnen der Künstler vorhält - im Spiegel an der Wand, beide in durchaus bürgerlicher Kleidung (ohne den übermächtigen Höhenunterschied) und durch den Künstler gespiegelt im repräsentativen Porträt, er mit Orden, sie in entsprechender Garderobe und mit kostbarem Collier. Während die drei Kinder im Porträt eingebunden sind in die Disziplin der Komposition, gesteht ihnen die Lebenswirklichkeit in der Regensburger Residenz offensichtlich mehr Freiheit zu. Sie fallen zwar nicht aus dem Rahmen (obwohl sie vom Bildaufbau das durchaus tun), aber Tonner muß auch hier eine durchaus natürliche Individualität gegenüber der repräsentativ erstarrten Pose des Porträts beobachtet haben. Die Kinder interessieren sich im übrigen nicht für das Porträt - bemerkt Tonner hier einen Anflug kindlicher Opposition in dieser festgefügten Welt? Es ist vielleicht nützlich, an dieser Stelle auf die Herkunft der Bildidee zu verweisen. Der Maler, das Porträt, die Porträtierten im Spiegel, eine Szene mit Kindern und das alles eingebunden in eine strenge Wirklichkeit des Raumes: diese illusionistische Bildidee stammt von Velazquez, der sie in seinem Gemälde Las Meniñas anwandte. Kompositionselemente wie der Maler im Bilde oder der Spiegel sind in der Malerei immer wieder aufgegriffen und variiert worden, Picasso hat sich im Herbst 1957 in einer umfangreichen Bilderserie intensiv mit Velazquez und den Meniñas auseinandergesetzt und sie neu gemalt, sie sich "völlig einverwandelt" (wie es bei Helen Kay in "Picassos Welt der Kinder", München/Zürich 1966, S.206 heißt). Picasso hatte dieses Bild im Prado gesehen, wo sich das Bild noch einmal in einem gegenüber angebrachten Spiegel spiegelt. Er stellte seine eigenen "Reflexionen über Reflexionen über Reflexionen" an (ebd.)
Und nun Tonner: Auch er erlaubt sich unter Zuhilfenahme
der unterschiedlichen Bildebenen, die ihm die an Velazques angelehnte Komposition zur Verfügung stellt, mehrfache Brechungen, Kommentare, Relativierungen. Der kühlen Distanz im Porträt wird die (unterschiedlich akzentuierte) persönliche Nähe der Personen gegenübergestellt. Die Eleganz der Fürstin kontrastiert mit der natürlichen Haltung der Mutter. Die puppenhafte Steifheit der ältesten Prinzessin wird aufgelöst in deren offenen Blick zum Betrachter, die jüngste ist traurig, was sie im Porträt nicht sein darf. Selbst der Fürst macht im Spiegelbild durch die leichte Kopfdrehung bedingt einen lockereren Eindruck. "Da die Heirat der Infantin schon seit frühester Kindheit angestrebt war, erfüllten die Porträts auch die Funktion eines Entwicklungsberichtes für den Bräutigam und dessen Familie."Die diesem herausgerutschten Bild diagonal entgegenstehende Prinzessin hält mit Recht die Zeichenmappe - die Vergangenheit(?) des europäischen Hochadels - fest verschlossen: Dieses ist nicht ihr Schicksal und wird es (hoffentlich) auch nicht werden. Indem Tonner (wenn er es denn so meint) an das fremdbestimmte Schicksal der Infantin Margarita erinnert, zeigt er zugleich, wie sich Kindheit heute (auch für Fürstenkinder) zu mehr Autonomie und Selbstbestimmung verändert hat. Es könnte auch sein, daß er dem Fürsten damit nahelegen will, seinen Kindern als Familienvater entgegen dem Anschein der porträtierten Autorität hinreichende Entwicklungsmöglichkeiten zuzugestehen. Damit würde sich Tonner (sozusagen von der anderen Seite) meiner konstatierten "zunehmenden Pluralität der Lebensformen" nähern.
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