"Von dem rheinländischen Maler Joseph Anton Settegast hängt hier das Bildnis eines Geschwisterpaares. Zwei kleine Mädchen schauen uns sehr freundlich aus dem Bild an. Die Jüngere, Blonde, sitzt etwas erhöht und hält eine Puppe im Arm. Ihre größere, braunhaarige Schwester steht daneben und legt ihr die Hand auf die Schulter. So sieht der Betrachter, daß die Kinder zusammengehören.
Hinter ihnen bemerkt man ein Stückchen Landschaft mit Wiesen und Bergen, weiter vorn steht ein Baum mit feinen, schmalen Blättern. Über allem ist ein hellblauer Himmel.
Dieses Bild verrät uns aber noch mehr, als wir auf den ersten Blick sehen. Beide Kinder haben ordentlich gekämmte Haare, die zu Zöpfen geflochten und an der Seite aufgesteckt sind. Sie tragen langärmelige, bequeme Kleider und darüber Schürzen. Zu dem ernster aussehenden, älteren Mädchen paßt gut das blaue Kleid mit der schwarzen Taftschürze, während die kleine Blonde mit den hellblauen Schleifen im Haar hellerfarbige Kleider anhat, ein rotes Kleid mit einer weißen Schürze.
Der Maler hat hier seine Töchter Carolina und Sophia dargestellt. An ihren Kleidern, Frisuren und der Puppe können wir erkennen, daß sie vor etwa 150 Jahren geboren wurden. Über die Zeit, in der die Kinder lebten, weiß man ganz gut Bescheid. Damals beschäftigten sich die Erwachsenen besonders viel mit Kindern. Sie dachten darüber nach, wie man am besten Schulen für sie einrichtet, es wurden Spielsachen hergestellt und Bücher für Kinder geschrieben. Ein Buch aus dieser Zeit kennt ihr alle. Es heißt "Der Struwwelpeter". Ein Frankfurter Arzt schrieb es für seine Kinder. Später ließ er das Buch drucken, damit andere Kinder es auch lesen konnten.
Vor dieser Zeit hatte man Kinder wie die Großen behandelt, sie sollten sich auch benehmen wie die Erwachsenen. Jetzt entdeckte man nach und nach, daß Kinder ein eigenes Leben brauchen, um vernünftige Erwachsene zu werden. Obwohl es diesen Kindern schon besser ging als ihren Eltern oder Großeltern, als sie klein waren, hatten sie es trotzdem nicht so leicht wie viele von Euch heute. Die Eltern waren sehr streng mit ihnen, sie mußten den Vater mit "Sie" anreden und durften ihm und den Lehrern nicht widersprechen.
Du siehst ja, wie artig beide Kinder hier vor uns stehen. So brav wollten die Eltern sie haben, und so brav wurden sie auch gemalt. Laßt mal Eure Eltern ein Foto von Euch machen und vergleicht es dann mit unserem Bild hier."
(Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hg.): Unsere Kunsthalle. Stuttgart, 3.Auflage 1988, S.40)
|