Bis in 19.Jahrhundert waren Begräbnisbilder vornehmlich nur dem Tod berühmter Persönlichkeiten und Staatsereignissen gewidmet. Alltägliche Bestattungen galten nicht als darstellungswürdig. Anker hat den Tod als Thematik in sein künstlerisches Schaffen mitaufgenommen und in der bürgerlich-bäuerlichen Welt dargestellt.
1862 und 1863 erschienen zwei erste Werke: Die kleine Freundin (o.li) und Kinderbegräbnis (o.re).
Das hier vorgestellte Bild Kinderbegräbnis zeigt neben einem offenen Sarg die betroffenen Angehörigen, weitere Begräbnisteilnehmer und den Chor der Schulkinder. Geburt und Tod waren den Kindern nichts Fremdes. Sie wurden schon früh zu Prozessionen und Wallfahrten mitgenommen und hatten ihren Platz auch in den zugehörigen Riten: Sie besuchten die im Hause aufgebahrten Toten, um für sie zu beten; der Chor der Schüler gehörte zum Leichenzug.

"Am wichtigsten und einträglichsten war der Leichenkondukt. Man unterschied 'stille Leichen' und solche, bei denen Hausandacht und Gesang der Schüler gefordert wurde ... Die Zahl der Schüler wurde bestellt, sie wechselte von 6 - 16; der Küster wählte sie aus, die beiden 'Kirchendiener' waren immer dabei, so daß ich in einem Jahr wohl 20-30 Leichen habe zu Grabe singen helfen. Wir fanden uns etwa eine halbe Stunde vor dem Beginn des Akts im Trauerhause ein, ... wo der Tote, regelmäßig im noch offenen Sarg, aufgebahrt lag, und sprachen ein leises Gebet. Dann wurden wir in einen andern Raum geführt, wo Warmbier mit eingebrocktem Weißbrot auf dem Tisch stand, neben seinem Teller fand jeder einen großen Wecken, und in diesen war der Obulus für die zu erwartende Gesangleistung gesteckt, ... Vor der Ansprache des Geistlichen (der Abdankung) wurde gesungen, ebenso zum Schluß. Währenddem wurde der Sarg geschlossen und auf den bereitstehenden Wagen, den ein Nachbar stellte, getragen. Nun setzte sich der Küster oder sein Stellvertreter mit den Schülern an die Spitze des Zuges; unter Gesang wurde der Hof verlassen und auch auf dem Wege zur Kirche von Zeit zu Zeit ein Vers gesungen.
Vor dem Kirchhofstor wurde haltgemacht, der Sarg von den Trägern ... auf die Bahre gesetzt und zweimal um die Kirche getragen unter Vorangang des Sängerchors; dann wurde der Weg zur Grabstätte eingeschlagen und unter dem Gesang des Verses: 'Begrabt den Leib in seine Gruft', der Sarg hinabgelassen. Hierauf Gebet und Segen des Geistlichen, nochmaliger Gesang, und nun gings in die Kirche, wo die eigentliche 'Leichenpredigt' stattfand, der regelmäßig ein kurzer Lebenslauf des Toten eingefügt wurde.
Natürlich fehlte es nicht an Gesang vor und nach der Predigt. ... Daß die Trauer um den Toten oder die Scheu vor Tod und Grab uns dabei tief ins Gemüt gegangen sei, kann ich nicht sagen. Im Gegenteil, es waren öfters recht lustige Fahrten, die wir so machten und unser Verhalten wohl nicht immer geeignet, Ernst und Würde der Feier zu erhöhen ...
Eine gewisse Abhärtung gegen die Eindrücke, die Tod und Grab machten, war überhaupt die Folge dieses Leichendienstes: der Anblick des Toten im Hause, der Anblick der aus dem Grab aufgeworfenen Gebeine und Schädel auf dem alten Kirchhof ließ uns allmählich so kalt, wie die Totengräber im Hamlet."
(Friedrich Paulsen: Aus meinem Leben. Jena 1909, S.100f.)

Die Welt der Kinder war nicht von der Erwachsenenwelt isoliert. Der Tod wurde nicht wie heute tabuisiert, sondern als Teil des Lebens betrachtet, von dem die Kinder nicht ferngehalten wurden. Man muß bedenken, daß Kinder auf ihr späteres Leben nicht durch emotionale Zuwendung und bewußte Erziehung vorbereitet wurden, sondern daß sie durch ihre Einbeziehung in die Anforderungen und Annehmlichkeiten ihrer gesellschaftlichen Umgebung in diese Welt hineinwuchsen. Das Leben selbst war ihre Schule.

(Text: Carola Held)