Zum Alten Musée Imaginaire
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In der heutigen Ausgabe beschäftige ich mich mit
  • einem Eingriff der VG Bild-Kunst in den Bildbestand des Museums und seinen Folgen.
  • einigen Neuerwerbungen und ihrem Nutzen für unterrichtliche Zwecke.

Eingriff der VG Bild-Kunst in den Bildbestand des Museums und seine Folgen

Das neue (oder auch nicht) Jahrhundert hat dem virtuellen Museum leider herbe Verluste beschert, die durch die Verwertungsgesellschaft (VG) Bild-Kunst entstanden sind.
Eine von mir schon 1997 aufgrund eines Einspruchs der VG bezüglich der (ungenehmigten) Veröffentlichungen von Bildern im "Musée Imaginaire" mit dieser geführte, schriftliche Auseinandersetzung, die ich nach deren beharrlichem Schweigen als Zustimmung gedeutet und beendet hatte, wurde um die Jahreswende als "verschwunden" bezeichnet.
Eigentlich kaum zu glauben, daß ein von der VG Bild-Kunst vorgetragener Einspruch und meine Einlassungen dazu nicht mehr existieren sollten. Aber juristisch ist das Internet nun mal voller Tücken und die Androhung, Unterlassungsansprüche einzufordern, haben mich noch im Januar dazu veranlaßt, sämtliche Werke von Künstlern, die noch nicht länger als 70 Jahre tot sind, vom Server zu nehmen.
Da war fast ein Drittel des Bildbestandes verloren: Ihn zu behalten war ganz einfach nicht bezahlbar, denn allein die (bisher vorhandenen) 14 Werke von Otto Dix würden bei den derzeitigen Preisen DM 1.008 kosten - und zwar jedes Jahr!
 
Meine Bemühungen, die Bilder durch entsprechende Genehmigungen seitens der Rechteinhaber (also der Künstler selbst bzw. ihrer Erben) ins Museum "zurückzuholen", sind noch nicht abgeschlossen, haben aber zu einigen aufschlußreichen Erfahrungen geführt (die möglicherweise für ähnliche Veröffentlichungen im schulischen Kontext sehr hilfreich sein können):
  • Lebende Künstler sind schnell bereit, eine Zustimmung zur Veröffentlichung zu geben, sehen sie doch zum einen, daß hier kein kommerzielles Interesse vorliegt und zum anderen, daß dies auch ein Weg ist, bekannt zu werden und eigene Arbeiten vorzustellen. Daß einer dieser Künstler im Zusammenhang mit der Honorarfrage der Meinung war, eigentlich müsse er doch zahlen, da ich ihn auf Web-Seiten präsentiere, zeigt einmal mehr, wie wenig die Argumentation der VG Bild-Kunst bzw. deren in Anspruch genommene Rechtsauffassung den Realitäten im "Netz" entspricht.
     
  • Bei der Gelegenheit habe ich mit Erstaunen festgestellt, daß die VG Bild-Kunst gar nicht alle lebenden Künstler vertritt, ja dass es einige unter ihnen gibt, die ausdrücklich nicht von ihr vertreten werden wollen.
     
  • Das Aufspüren der Erben bereits verstorbener Künstler ist nicht ganz einfach - manche Museen sind nicht willens, manche auch gar nicht in der Lage, entsprechende Auskünfte zu erteilen - zumal ich das ja alles neben meiner eigentlichen Arbeit mache. Zweimal bin ich schon in Todesfälle "geplatzt", die Erbfolge war noch nicht geregelt. Keine guten Voraussetzungen für mein Anliegen - da muß man sich in Geduld üben.
     
  • Leider sind einige Erben wenig entgegenkommend: Sie verwechseln die "Verantwortung für ein Kulturgut" (so die Kuratorin der Nürnberger Museen) mit der Lizenz zum Geldeintreiben. Entweder es wird gezahlt oder sie verweigern die Aufnahme ins Museum. Auch der Hinweis, dass ich dann gar nicht anders kann, als den jeweiligen Vorfahren ganz aus dem Museum herauszunehmen, er also im vorliegenden Zusammenhang unbekannt bleibt, führt zu keiner anderen Auffassung. Leider kann man bei der derzeitigen Situation Künstler vor ihren Erben erst dann wieder schützen, wenn sie mehr als 70 Jahre tot sind. Mancher ist eben zu spät gestorben, er ist für dieses Museum verloren - und mußte "gelöscht" werden.
     
  • Es gibt auch ein paar nachdenkliche Erfahrungen, die allerdings das Ganze nicht erträglicher machen, sondern die generelle Frage aufwerfen, ob dies ein angemessener Umgang mit dem uns überlieferten Kulturgut sein kann:
     
    • Die Hamburger Kunsthalle hat in ihrem Internet-Auftritt einige Bilder weglassen müssen: wegen "Kontroversen" mit der VG Bild-Kunst.
    • Andere Museen teilen (ungefragt und nebenbei) mit, welche Probleme sie selbst mit der VG Bild-Kunst haben: "Bestimmte Werke bestimmter Künstler (die von der VG Bild-Kunst vertreten werden) können wir - aus Kostengründen - nicht ausstellen." (So in einem Brief aus dem Paula-Modersohn-Becker-Museum.)
    • Es gibt Museen, die gar nicht wußten, daß sie zu Teilen ihres eigenen Bestandes gar keine Reproduktionsrechte vergeben dürfen - und dann heftig zurückruderten.
       
  • Also: Ich bemühe mich weiterhin. Den Erfolg können Sie selbst im Magazin bzw. im Lesesaal überprüfen.

Neuerwerbungen und ihr Nutzen für unterrichtliche Zwecke

Bei meinen Bemühungen nach den Reproduktionsrechten bin ich auf drei Bilder zeitgenössischer Künstler gestoßen, die ich umgehend für das virtuelle Museum "erworben" habe. Es handelt sich um:
 
Werner Gocksch (1922-2006)
Hanefi Yeter (geb.1947)
Winfried Tonner (1937-2002)
  - "Mars macht mobil", 1982
- Analphabeten in zwei Sprachen, 1978
- Großes Regensburger Familienbild, 1984/85
 
Schon die Titel dieser Bilder zeigen, dass das Musée Imaginaire mehr als nur kunsthistorische und gestalterische Themen des Kunstunterrichts i.e.S. anspricht. "Kindheitsdarstellungen" verweist auf historische, soziologische und erziehungswissenschaftliche Aspekte sowohl des entsprechenden Fachunterrichts im Sekundarbereich als auch auf solche des Sachunterrichts.
 
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Werner Gocksch (1922-2006); "Mars macht mobil", 1982
 
"Mars macht mobil" ist eine sehr pointierte Auseinandersetzung mit dem sich im Werbeslogan 'Mars macht mobil, bei Arbeit, Sport und Spiel' ausdrückenden Widerspruch zwischen gesellschaftlichen Forderungen und Ansprüchen an die Kinder und dem gleichzeitigen realen Freizeitangebot durch Spielzeuge und Medienangebote dieser Gesellschaft. Gocksch hat diese Thematik 1983/84 in einem umfangreichen Projekt im Rahmen der Kunsterzieherausbildung an der Hochschule der Bildenden Künste, Berlin bearbeitet.
Man muß dieses Thema nicht so umfassend wie Gocksch mit seinen Studenten bearbeiten, es werden sich aber vom Leistungskurs im Sekundarbereich II bis zum Sachunterricht in der Grundschule genügend Aspekte finden lassen, die eine altersspezische Bearbeitung des Themas zulassen. So läßt sich das Bild im Zusammenhang mit dem in der KINDERECKE vorgeschlagenen Thema "Mit Trommel, Säbel und Gewehr" bereits in der Grundschule bearbeiten, im Sekundarbereich kann man dem von Gocksch in der Interpretation von Hinkel vermißten Zusammenhang zwischen Mars und Kriegsgott nachgehen.
Die Fülle möglicher Aktivitäten im Zusammenhang mit der Bildthematik beschreibt Gocksch selbst so:
  • Bilder suchen, sammeln, kategorisieren und ausstellen;
  • Erinnerungsprozesse intensivieren, reflektieren und niederschreiben;
  • themenbezogen experimentieren: malen, zeichnen, fotografieren, drucken etc. ;
  • inhaltliche Bezugsfelder aufspüren und erschließen, z.B. Erziehungskonzepte.
    (Gocksch; Bildproduktion und Sammelprozesse in: Kunst+Unterricht, Heft 128/Dez.1988, S.38)

Hier wird eine sehr anspruchsvolle, fächerübergreifende Konzeption deutlich: "In diesem Prozeß ist ästhetische Praxis keine Erholung vom kognitiven Lernen, ist nicht kompensatorisch, sondern komplementär." (Gocksch)


 
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Hanefi Yeter (geb.1947);
Analphabeten in zwei Sprachen, 1978
 
Über Hanefi Yeter weiß ich noch nicht viel. Er lebt seit vielen Jahren in Berlin - vielleicht kann ihn ja mal eine Berliner Klasse aufsuchen und die Informationslücken (Selbstporträt, Kurzbiografie, Text über sein bisheriges Schaffen/Leben) auffüllen? Ich will gerne den Kontakt vermitteln.
Die vorhandenen Texte weisen darauf hin, daß in diesem Bild neben der Thematik 'Fremde in zwei Welten' die (möglicherweise nicht gleich zu bemerkende) unterschiedliche Auffassung der Geschlechtsrollen angesprochen wird:
 
"Diesen kulturellen Zwiespalt, dem die beiden türkischen Jugendlichen an einer deutschen Schule ausgesetzt sind, drückt das Bild aus." (Hinkel)

Dies sollte bei der Verwendung des Bildes im Unterricht beachtet werden. Hilfreich könnte die Bildung von verschiedenen Lerngruppen sein - das Verstehen der jeweils anderen Wertvorstellungen setzt manchmal eine ungestörte Auseinandersetzung mit den eigenen voraus. Ich würde gern Unterrichtsbeispiele und Erfahrungsberichte veröffentlichen.


 
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Winfried Tonner (1937-2002); Großes Regensburger Familienbild , 1984/85
 
Ein in mehrfacher Hinsicht faszinierendes Bild. Neben der handwerklichen Qualität (Tonner möge mir verzeihen, daß ich dies an erster Stelle nenne) fällt zunächst einmal die kühne Komposition auf - Sie merken: Ich schwärme. Bei Werner Timm hört sich das so an:
"Die farbige Interpretation dieses Bildes im Bilde stellt einen Versuch dar, in minutiöser Sachlichkeit das Festlich-Repräsentative, das Offizielle darzustellen, dessen Wirkung indessen durch die Einbeziehung in die mehr private Atmosphäre der Gesamtkomposition spannungsvoll relativiert wird."
(Timm: Annäherungen an die Wirklichkeit. In: Ders.: Winfried Tonner. Regensburg, S.11f.)
Tonner malt das von ihm gezeigte Familienporträt in bewährter Tradition (etwa wie bei Goya) und konfrontiert dann den Betrachter - ein altes Kompositionsschema (von Velasquez in den Meninas benutzt) aufgreifend - mit der Situation, in der er dieses Porträt dem Fürstenpaar, das selbst im Spiegel erscheint, präsentiert.
Diese Bild-im-Bild-Situation reflektiert nicht nur einen umfassenden kunsthistorischen Prozeß, sondern ist als "Reflexion über Reflexionen über Reflexionen" (so Picasso, als er sich mit den Meninas auseinandersetzte, nachdem er das Bild im Prado gesehen hatte, wo es sich in einem gegenüber angebrachten Spiegel noch einmal spiegelt) geeignet, sich mit heutigen und vergangenen Familiendarstellungen zu befassen und die jeweilig vorherrschenden Normen zu entdecken und - wie die Kinder im Tonnerschen Bild - zu relativieren.
Ich habe - ausgehend von familien-soziologischen Anmerkungen zur Entstehung der modernen Kleinfamilie - versucht, solchen Zusammenhängen nachzugehen. Noch sind das Texte, die ich im Zusammenhang einer (Internet-) Vorlesung im laufenden Sommersemester für meine Bielefelder Studierenden verfaßt habe, gleichwohl können sie als Materialien bzw. Anregungen für entsprechende Unterrichtsprojekte gelten. Im übrigen wird deutlich, wie der Bildbestand des Musée Imaginaire in sozialwissenschaftliche Projekte bzw. Fragestellungen einbezogen werden kann. Die von Gocksch (s.o.) erwähnte Sammelphase wird durch den Museumsbestand verkürzt, bzw. angeregt und ergänzt. Ich verweise also als ergänzende Materialien zu diesem Bild auf:
  • Peuckert: Die Entstehung der modernen Kleinfamilie als familialer Normaltypus der Moderne.
  • Kraft: Das bürgerliche Familienideal.
  • Kraft: Winfried Tonner und sein "Großes Regensburger Familienbild".