Dieser Text wurde im Dez.2000 geschrieben. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Das bürgerliche Familienideal- Eine Interpretation anhand zeitgenössischer Gemälde -Um den Text (-ausschnitt) von Jürgen Peuckert über
Beide Male wird die bewährte Geometrie gleichschenkliger Dreieckskompositionen und des Goldenen Schnitts bemüht, um den auseinanderstrebenden Haltungen verbindliche Festigkeit zu verleihen. Eines der bekanntesten Bilder in dieser Kompositionstradition ist sicher das nebenstehende Gemälde Die Familie des Herzogs von Osuna, das Goya 1788 gemalt hat. Ich werde mich im Folgenden öfter auf dieses Bild beziehen, doch jetzt zurück zu Dix und zur Familie Glaser: "Beim Glaserbildnis ... geht er dem psychologischen Verhältnis der Dargestellten untereinander nach, der behaupteten patriarchalischen Vormacht des Mannes mit der inbesitznehmenden Gebärde des um die Schulter der Frau Erna gelegten Arms, die in Tuchfühlung zu allen den eigentlichen Mittelpunkt abgibt und die auseinanderstrebenden Blicke und Haltungen dennoch sammelt." (Diether Schmidt im Katalog zur Ausstellung in Stuttgart und Berlin anläßlich des hundertsten Geburtstages von Dix 1991, S.194) Die "patriarchalische Vormacht des Mannes mit der inbesitznehmenden Gebärde des um die Schulter der Frau (Erna) gelegten Arms" war auch bei Goya vorhanden, aber betrachten Sie dazu einmal das folgende Bild von Johann Peter Hasenclever aus dem Jahr 1847 ...
Basierend auf der holländischen Tradition des 17.Jahrhunderts (Soine verweis auf Gerard Dous Porträt eines Ehepaars vor einer Landschaft im Riksmuseum Amsterdam - P.K.) ... , repräsentiert dieses Bild Hasenclevers Selbstverständnis von der Familie, ohne jedoch zum Repräsentationsgemälde zu geraten. Nicht das gern wiedergegebene bürgerliche Interieur wird zur Folie dieser Selbstdarstellung, sondern die waldige Natur des Bergischen Landes. Die nicht domestizierte Natur ist Hasenclever der aktezptable Hintergrund, um seiner Vorstellung menschlicher Würde Ausdruck zu verleihen. Freilich, auch für den Remscheider Maler gibt es eine Rangfolge. - Der Mann ist das Oberhaupt der Familie. - Und doch ist dieses Bild dem Gedanken der Gleichberechtigung von Frau und Mann schon wesentlich näher als die traditionellen Darstellungen, die einzig dem Manne das Standmotiv zubilligen. Die Frau sitzt in der Regel züchtig am Tisch, allzuoft mit der obligaten Stickarbeit beschäftigt." (Soiné, Knut: Joh.Peter Hasenclever. Neustadt/Aisch 1990,S.157)
"Die bürgerliche Familie unterscheidet sich in zentralen Punkten von dem multifunktionalen Lebenszusammenhang des "ganzen Hauses":Dieser (neue) Bezug der Familie auf "einen privatisierten, auf emotional-intime Funktionen spezialisierten Teilbereich" und das "Leitbild der Ehe als Intimgemeinschaft" deuten sich in diesem Bild von Tischbein bereits an. Neidhardt kann daher sicher zugestimmt werden, wenn er in seiner Interpretation dieses Bildes schreibt: "Elternliebe und Familiensinn gehörten im Zeitalter der Empfindsamkeit zum Moralkodex des jungen, aufstrebenden Bürgertums."Hier noch zwei Zufallsfunde aus dem Biedermeider: Im linken Bild wird nur den männlichen Mitgliedern der Familie das Standmotiv, von dem bei Soiné im Zusammenhang mit Hasenclevers Familienbild die Rede war, zugebilligt, im rechten sehen wir wieder die bekannte Dreieckskomposition mit dem alle anderen Familienmitglieder überragenden (ordensgeschmückten) Vater:
"Mit dem Aufstieg des Bürgertums (etwa seit 1830) wurden die sich in der privatisierenden Kleinfamilie herausbildenden Funktionen normativ überhöht und als kulturelle Leitbilder postuliert. Das bürgerliche Ehe- und Familienleitbild verbindet die persönliche Verantwortung der Eltern für ihre leiblichen Kinder, wie sie den Ideen der Aufklärung entspricht, mit der im Zeitalter der Romantik entwickelten Intimauffassung von Ehe und Familie. Im bürgerlichen Familienleitbild werden die familialen Beziehungen zwar romantisiert gesehen, gleichzeitig werden sie aber auch rechtlich-sittlich verpflichtend gemacht." (Peuckert, Rüdiger: Familienformen im sozialen Wandel. Opladen, 2.Auflage 1996, S.22) ... so galt ja auch bei Hasenclever - trotz des "abweichenden" Bildaufbaus: Der Mann ist das Oberhaupt der Familie. ... aber so einfach und eindeutig, wie oft unterstellt, ist das wohl doch nicht gewesen, mit der patriarchalischen Übermacht als Kennzeichen der bürgerlichen Familien im 19.Jahrhundert - das deutete sich bei Hasenclever durchaus an und im folgenden (einige Jahre vor Hasenclevers Familienbild entstandenen) Bild von Harnier gehen diese "Abweichungen" noch etwas weiter:
Auch die beiden folgenden Bilder passen nicht ins "Schema" (wenn es denn wirklich ein solches als ein allgemein anerkanntes gab und es nicht ein in der Rückschau angebrachtes Etikett ist): Da steht beide Mal die Frau und der Mann sitzt. Während im Bild von Waldmüller das Schreibzeug des Mannes und die Blumen in der Hand der Frau zumindest die Rollenverteilung verdeutlichen, fehlen diese Hinweise in der Fotografie. Es wird allerdings zu beachten sein, daß vor allem die Herstellungsbedingungen von Foto und Gemälde andere sind: Die (momentane) unterstützende Zuwendung der Mutter hat es vielleicht überhaupt erst möglich gemacht, daß die Fotografie in der vorliegenden (an die Gemälde angelehnte) Dreiecks-Komposition entstehen konnte - der Vater "opfert" seine Position der technischen Notwendigkeit, schließlich waren noch Belichtungszeiten von Sekunden und nicht von Hundertsteln erforderlich.
Peuckert betont diese relative Bedeutsamkeit des zuvor erläuterten Familientypes noch einmal ausdrücklich durch den Hinweis auf dessen "Leitbild"funktion: "Bürgerliche Familien dieses Typs waren im 19.Jahrhundert zahlenmäßig relativ selten. Sie erlangten ihre historische Bedeutung vornehmlich durch ihre Leitbildfunktion (auch für andere Sozialschichten). Auch für weite Kreise des Bürgertums bestand, schon aufgrund ihrer ökonomischen Lage, eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem verkündeten Ideal und der praktizierten Lebensweise. In den Arbeiterfamilien kann trotz des Wegfalls der Heiratsbeschränkungen von einer der bürgerlichen Familie vergleichbaren Emotionalisierung und Intimisierung des Familienlebens schon aufgrund der randständigen sozio-ökonomischen Lage (niedrige Löhne, Arbeitslosigkeit), der notwendigen Erwerbsarbeit der Ehefrau (und Kinder) und der beschränkten Wohnverhältnisse (z.B. Untervermietung in der Form des "Schlafgängertums") nicht die Rede sein. In normativer Hinsicht lassen sich allerdings Annäherungen beobachten. Das bürgerliche Familienideal mit der Vorstellung der nicht erwerbstätigen Hausfrau und Mutter wird auch unter Arbeiterfrauen immer populärer."
... und nun Dix, der dieses bürgerliche Familienideal (zumindest für seine eigene Familie) in Frage stellt. Ich zitiere eine längere Passage aus dem Katalog zur bereits 1978 (im Städel/Frankfurt) stattgefundenen Ausstellung "Kinder und Erwachsene im Bildnis" (im digitalen Angebot des Städels finden Sie unter "Suche" mit den Stichwörtern "Dix Familie" eine farbige Abbildung). "Dix ... zieht eine Summe aus den überlieferten und zu seiner Zeit weithin anerkannten Meinungen über Familie und Rollenverhalten und stellt sie radikal in Frage. Er malt sich zusammen mit seiner Frau Martha, der Tochter Nelly und seinem Sohn Ursus.Künstler nehmen gesellschaftliche Entwicklungen sehr oft viel früher wahr, überhöhen sie in ihren Darstellungen und werden dadurch zu Mahnern, Warnern, Propheten der Gesellschaft. Bei Dix werden seine Lebensumstände diese Sensibilität gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen noch unterstützt haben. Gleichwohl wird als generelle Entwicklung des (gesellschaftlich akzeptierten und damit verbreiteten) Familienleitbildes gelten, was Peuckert dazu feststellt: "Gegen Ende des 19.Jahrhunderts läßt sich eine zunehmende und alle Schichten umgreifende normative Orientierung am bürgerlichen Familienideal feststellen. Praktiziert wird dieses Leitbild aber zunächst nur von einem relativ kleinen Kreis privilegierter bürgerlicher Schichten. Zwar zeigen sich in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts, mitbedingt durch soziale Umschichtungsprozesse, wie der Zunahme des Angestelltenanteils, gewisse Verbürgerlichungstendenzen. Letztlich waren jedoch alle Bemühungen zur Durchsetzung des bürgerlichen Familientyps relativ erfolglos, da es in der krisenhaften Zeit bis 1950 nicht gelang, deutliche Verbesserungen des Lebensstandards für die Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen."Die Vorstellung von Familie und den sich in dieser Lebensform darstellenden Rollenmustern ist - das zeigt die Konfrontation von soziologischer Analyse mit zeitgenössischen Bildern und ihrer Interpretation - bei weitem nicht so eindeutig, wie dies manche der heutigen Autoren darstellen. Gleichwohl kann Peuckert zu Recht verallgemeinernd feststellen: "Nie zuvor war eine Form von Ehe und Familie so dominant wie in der Nachkriegszeit bis etwa Mitte der 60er Jahre. Die gegenwärtige Situation erscheint vielen auch deshalb als so krisenhaft, weil der Zustand vorher ungewöhnlich homogen war. Das moderne Ehe- und Familienmodell - die moderne Kleinfamilie als selbständige Haushaltsgemeinschaft eines Ehepaares mit seinen minderjährigen Kindern - hatte sich faktisch und normativ (als unhinterfragtes Leitbild) nahezu universell durchgesetzt."D.h. die (spätestens) durch Dix ins Wanken geratene ideale Auffassung von Familie hat sich in der 2.Nachkriegszeit (des 20.Jahrhunderts) durch reale Lebensgewohnheiten in dem Maße durchgesetzt, daß Peuckert von einer "historisch einmaligen Situation" spricht. Zwischenbemerkung (Anfang): Dieser universelle Zustand der Gesellschaft scheint die Tendenz zu befördern, über vergangene Zustände gleichfalls repräsentative, allgemeingültige Aussagen machen zu wollen. Noch 1995/96 war dies an der Ausstellung im Landesmuseum Münster "Als die Frauen noch sanft und engelsgleich waren" zu beobachten. Als "Aufteilung der Welt" zur Biedermeierzeit galt der Ausstellungsmacherin: Ihm die Aktivität, ihr die Passivität, das Erleiden und Erdulden,Folgerichtig liest man dann über Waldmüllers Bildnis eines Kartographen mit seiner Frau: "Der hart und rastlos tätige Gelehrte bringt Leistung und Verdienst, die liebende Gattin Gefühl und Frömmigkeit in das Bild idealer Bürgerlichkeit."... und während Harniers Familienbild fehlte, wurde das Bild seiner Tochter mit Puppe(!) gezeigt. Ich unterdrücke an dieser Stelle einen Kommentar und verweise stattdessen auf den entsprechenden Katalog-Text zu diesem Bild, den ich im Musée imaginaire mit einigen "Lesehinweisen" versehen habe. Zwischenbemerkung (Ende) In dieser "historisch einmaligen Situation" der 50er und 60er Jahre in Westdeutschland sind es (wieder) Künstler gewesen, die erste Zeichen eines Zerfalls dieser Familienform beobachtet und pointiert dargestellt haben: Harald Duwe (1926-1984); Sonntagnachmittag, 1956-60 (Die Wiedergabe dieses Bildes erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Frau Duwe-Ploog.) "Kein Streit scheint vorgefallen zu sein - die wiedergegebene Situation ist ein Dauerzustand. Das ist es, was die würgende Realtität von Duwes Alltagsallegorien ausmacht. Auf den ersten Blick sind sie Zustandsbeschreibungen, die sich erst der genauen Anlyse als gefrorene gesellschaftliche Fixierungen zu erkennen geben. Leben in einer permanenten Betäubung, ausgelöst von den Freiheiten, die in Wirklichkeit Zwänge sind."Was war das eigentlich für eine Gesellschaft in den Jahren zwischen 1950 und 1970,
Folgender Text mag einen Eindruck vom allgemeinen gesellschaftlichen Bewußtsein der damaligen Zeit vermitteln. Es handelt sich dabei keinesfalls um eine Satire, sondern um Werbung, die den Zeitgeist wohl kaum kritisierte, sondern ihn zutreffend beschreiben und als Verkaufshilfe nutzen wollte.
"Sind tatsächlich die Familien-Kindheiten und die Kinderzahl pro Familie so problematisch oder ist nicht eher eine Pädagogik das Problem, die selbst im normativen Gebäude eines Mythos von idealer Familien-Kindheit gefangen ist, eines Mythos, der mit der historischen Realität von Familienkindheit(en) heute verdammt wenig zu tun hat?" Nachtrag 2007 (Anfang): Die Diskussion um die Erhöhung von Krippenplätzen (zur Realisierung der den Müttern von der Politik immer wieder versprochenen Wahlfreiheit zwischen Berufs- und Haustätigkeit) zeigt, daß sich weite Teile der bundesrepublikanischen Meinungsmacher (Kirche, christliche Parteien, Medien) immer noch nicht von dem Kinder-Küche-Kirche-Modell verabschieden können. Nachtrag 2007 (Ende) Ich empfehle neben der Fortsetzung dieses Textes zum Weiterstudium:
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